Eine Sprachreise nach Innsbruck
Ich sitze im Zug Richtung Innsbruck, und versuche mir in letzter Minute noch einige Texter-Weisheiten aus einem Buch zu saugen. Ich sollte öfter Bücher von guten Textern lesen. Es ist wenig überraschend, dass die auch echt gut geschrieben sind. Bei einem Zitat von William Strunk bleibe ich hängen: „Erliege nie der Versuchung, ein 20-Dollar-Wort zu verwenden, wenn ein 10-Cent-Wort zur Hand ist, das denselben Zweck erfüllt.“ Man sagt, dass die deutsche Sprache sehr lang ist. Wenn man statt Witterungsbedinungen auch Wetter, und statt Gefährdungspotential auch Gefahr schreiben kann, frage ich mich, ob wir unsere Sprache nicht einfach künstlich ausleiern. Ich präge mir so viel über Text ein, wie nur möglich. Irgendwie bin ich nervös. Ab morgen werde ich ein 4-tägiges Texterseminar besuchen, und dabei sehr wahrscheinlich der einzige sein, der keinen sprachlichen Hintergrund hat. Als mich unser Agenturchef Sebastian vor einigen Monaten gefragt hat, welche Fortbildung ich besuchen möchte, habe ich selbst das Thema „Text-Konzept“ vorgeschlagen, weil mir bewusst geworden ist, wie wichtiger es ist was man kommuniziert.
Tag 1
Meine Hände kribbeln vor Nervosität. Unser Vortragender hat uns gerade eine kleine Einführung zum Thema gegeben. Jetzt haben wir zehn Minuten Zeit um einen kurzen Text zu verfassen, mit dem wir uns vorstellen. Zehn Minuten! Mir ist das viel zu wenig. Freilich kann man in der Zeit ein wenig was zusammenklopfen, aber ich muss das gleich vor über einem Dutzend professioneller Texter vortragen. Ein halbe Stunde später ist auch das vorbei. Mein Text dürfte niemanden aus den Socken gerissen haben, aber zumindest dürfte mein Text auch nicht enttäuscht haben.
Es folgte Input zum Thema Sprache. Vieles davon habe ich bereits in meinem Buch gelesen. Mit Adjektiven geizen, genaue Wörter statt Verallgemeinerungen verwenden – das ist mir nichts Neues. Interessant für mich: Man soll dem Leser nichts aufdrängen. Wenn man sagt wie toll das Produkt ist, dann glaubt der Leser das sowieso nicht. Vielmehr sollte er das aufgrund von Argumenten selbst erkennen.
Der restliche Tag vergeht rasch, und am Abend kann ich ein wenig die Innsbrucker Innenstadt erforschen. Sehr viel Zeit nehme ich mir aber nicht. Der Tag war ebenso kurzweilig wie auslaugend, und ich habe das Gefühl, dass der morgige noch intensiver wird.
Tag 2
Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Heute geht es um Kampagnen. Das wichtigste dabei: Das Kundenbriefing lässt fast immer 360° Bewegungsfreiraum. Darum muss man es selbst verfeinern und eine Richtung zu finden, die das Produkt am besten verkauft. Der Tag hat wenig Vorträge dafür aber umso mehr Probleme die es zu lösen gilt. Unter anderem versuchen wir eine Vermarktungsstrategie für ein TV-Format zu entwickeln. Da es außer der kurzen Mittagspause auch keine Unterbrechung gibt, fühlt sich mein Kopf nach diesem viel zu langen Tag an, als wäre er einmal wie ein Zitrone ausgepresst worden.
Tag 3
Der dritte Tag ist weniger trocken. Es geht um „Storytelling“. Überraschend: Es gibt auf der Welt nur sieben Geschichten. Naja, Archetypen wäre vermutlich das richtigere Wort – alle sollen sich in eine dieser sieben einordnen lassen. Das Prinzip von Stories kann man nutzen um trockene Information mit Leben zu füllen. „Data with a soul“, so nennt es Brene Brown. Hier erlebe ich den aufschlussreichsten Moment dieses Seminars. Reihum darf jeder von uns eine Geschichte aus seinem Leben erzählen. Am Ende macht uns unser Vortragender darauf aufmerksam, dass wir von allen Geschichten gefesselt waren. Jeder von uns kann Geschichten erzählen, egal auf welchem Texterlevel er sich befindet. Und all die Fehler die wir beim Texten machen, passieren uns dabei nicht. Mir fällt auf, dass wir beim Schreiben in total künstliche Formulierungen fallen, die wir sonst nie verwenden würden. Klar, Schriftsprache nennen wir das. Aber wenn wir alle spannend erzählen können, sollten wir dann nicht auch alle spannend schreiben können? Sind unsere geschriebenen Sätze einfach „zerdacht“?
Der Tag war angenehmer als der gestrige. Dafür dürfen wir heute Abend noch eine Hausaufgabe erledigen. Wie ich eben so bin sitze ich noch bis lange nach Sonnenuntergang auf meinem Hotelbett, und zerbeiße mich an jeder kleinen Formulierung meines Textes. Irgendwann bin ich halbwegs zufrieden – oder gebe mich zumindest geschlagen.
Tag 4
Bis zum Mittagessen besprechen wir in der Runde unsere Hausaufgaben. Mein Text kommt gut an, der Aufwand hat sich also bezahlt gemacht. Vorträge gibt es heute keine mehr. Am Nachmittag arbeitet jeder an eigenen Realprojekten und wir bekommen Hilfe und Input der anderen Teilnehmer. Schon bald ruft das Feierabendbier, mit dem wir gemeinsam den erfolgreichen Workshop feiern.
Resümee
Die Gesellschaft von Textern kann ich nur empfehlen. Andauernd wird man von amüsanten Sätzen bombadiert. Ansonsten nehme ich mir von diesem Workshop viel neues Wissen und neue Erfahrungen mit. Deutsch ist kein lange Sprache. Deutsch ist auch gar nicht so kompliziert. Wir „verkomplizieren“ es einfach nur.
Das Wichtigste, das mir schon zuvor bewusst war, wurde mir jetzt aber nochmal bestätigt: Man braucht ein „Etwas“, das man kommuniziert, und das sollte auch noch von Interesse sein. Und wenn man keines hat, dann muss man eines finden. Wenn man etwas schreibt, dann sollte man auch etwas zu sagen haben. Texte lassen sich zwar künstlich aufblähen, aber davon profitiert der Leser nicht. Wenn die eine Hälfte des Geschriebenen uninteressant ist, und die andere heiße Luft, dann ist es als ob man eine große Tüte Chips öffnet, nur um festzustellen, dass sie nur halb gefüllt ist, und die wenigen Chips sind noch dazu verbrannt.